Osteuropa wirtschaftet trotz globalen Wirtschaftsrückgangs gut
Künftige Herausforderungen entstehen durch Brexit und US-Zölle
Trotz des globalen leichten Wachstumsrückgangs in der Wirtschaft, performen die Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOSOE) besser als erwartet. Diese unerwartete Entwicklung kann auch Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft haben – wie der aktuelle Bericht des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zeigt. Vor allem die mittel- und osteuropäischen Länder schneiden im Vergleich zum restlichen Euro-Raum überdurchschnittlich gut ab. Zurückzuführen ist das BIP-Wachstum dort auf die gute Exportquote bei gleichzeitig stabiler Binnennachfrage. Letztere erklärt sich durch ein gestiegenes Lohnniveau in der Region, das wiederum eine Folge des zunehmenden Arbeitskräftemangels ist. Durch die geografische Nähe und langjähriger Wirtschaftsbeziehungen sind die MOSOE-Länder auch für Österreich relevant. Ein Drittel der österreichischen Direktinvestitionen befindet sich laut wiiw in dieser Region, besonders profitabel erwiesen sich dabei Investitionen in mittel- und osteuropäische EU-Länder. Für die gesamte Region der MOSOE-Länder sieht das wiiw weitgehend stabile Entwicklungen. Probleme könnten aber durch neue Handelsbarrieren entstehen, wie Vasily Astrov von wiiw, meint. Er nennt künftige Herausforderungen, die sich bereits in aktuellen politischen Entwicklungen abzeichnen:
„Wir haben für dieses Jahr eine Wachstumsverlangsamung in der Region erwartet, vor allem aufgrund der Konjunkturabflachung weltweit. Also man hat damit gerechnet, dass die globale Wachstumsverlangsamung auch Auswirkungen auf die Wachstumsperformance der Region Mittel-, Ost- und Südosteuropa haben wird. Aber was wir beobachten ist, dass es zwar tatsächlich eine Abkühlung der Wirtschaft gibt, aber diese ist bei weitem nicht so stark wie noch im Frühjahr erwartet. Außerdem sind die Aussichten in den Ländern Mittel- und Osteuropas sehr stark von den externen, globalen Konjunkturentwicklung abhängig, speziell auch von den Entwicklungen in der Autoindustrie. Diese spielt eine besonders große Rolle, vor allem für die Visegrád-Länder [Anmk. Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei]. Die mögliche Einführung von Handelsbarrieren in den USA würde die Wirtschaft der Visegrád-Länder, vor allem aber von Ungarn und Slowakei, relativ stark beeinträchtigen. Genauso verhält es sich mit einem harten Brexit, was auch gerade ein ziemlich wahrscheinliches Szenario ist. Wenn Großbritannien die EU ohne ein neues Abkommen verlässt, bedeutet das auch neue Handelsbarrieren auch für die Importe von Autos aus Deutschland und den Visegrád-Ländern. Diese Risiken sind durchaus realistisch. Gleichzeitig wird sich die heimische Nachfrage weiterhin stark entwickeln. Also der private Konsum bleibt nach wie vor der wichtigste Wachstumsmotor in den Visegrád-Ländern, der sich auf das starke Lohnwachstum stützt, das wiederum aus dem zunehmenden Arbeitskräftemangel resultiert.“Die guten wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs mit MOSOE-Ländern fördern auch die Zunahme an Beschäftigten aus der Region, die in Österreich erwerbstätig sind. Etwa stammen 2,3 Prozent der österreichischen Bevölkerung aus Visegrád-Staaten, die fünf Prozent aller hierzulande Beschäftigten aus dieser Region gegenübersteht. Jene Personen aus mittel- und osteuropäischen Ländern tragen also einen überproportionalen Beitrag zu Österreichs Wirtschaft bei, wie Julia Grübler erklärt. Arbeitskräfte aus MOSOE können außerdem den Fachkräftemangel in Österreich einbremsen, wodurch eine win-win-Situation auf beiden Seiten entstünde:
„Die Attraktivität Österreichs als Arbeitsmarkt verschärft auch den Arbeitskräftemangel in der Region [MOSOE, Anmk.]. Der Arbeitskräftemangel ergibt sich aus dem Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung, die wiederum durch die Veränderung der Geburtenrate entsteht, sowie über Migration von Ost nach West – das heißt, Migration von Ost- nach Westeuropa, also auch nach Österreich. Das kommt kurzfristig Österreich auch zu Gute, weil es den eigenen Fachkräftemangel abfedern, beziehungsweise in die Zukunft verzögern kann. Zusätzlich kommt der positive Effekt der Lohnentwicklung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa hinzu, denn mit höheren Löhnen können die Leute mehr Geld sparen, aber auch für heimische und österreichische Produkte und Dienstleistungen ausgeben. Das heißt, von den guten Lohnentwicklungen können auch österreichische Exporteure profitieren.“Hinsichtlich des bestehenden Fachkräftemangels in Österreich verweist Grübler neben den Arbeitskräften aus MOSOE-Ländern auch auf ungenutztes Potential bei Menschen, die in den letzten Jahren nach Österreich geflüchtet sind. Sie empfiehlt etwa Personen mit anerkanntem Asylstatus besser in den österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren, wie es auch bei potentiellen Arbeitskräften aus EU-Drittländern generell der Fall sein sollte. Zur derzeitigen Entwicklung Fachkräfte durch digitalisierte Vorgänge zu ersetzen, gibt Grübler zu bedenken:
„Neben dem Bereich der Integration von Personen aus Drittstaaten ist die Integration von Frauen ein großes Thema. Der Anteil der unselbstständig Beschäftigten aus mittel- und osteuropäischen Ländern ist höher als der Anteil aus diesen Ländern an der Bevölkerung. Wenn man sich den Frauenanteil dabei ansieht, ist das nicht mehr der Fall. Also hier besteht großes Potential. Ein weiterer Bereich und die großen Themen sind eigentlich die Verlangsamung des Arbeitskräftemangels, technologischer Fortschritt, Automatisierung, Robotisierung und Digitalisierung. Erst vor zwei Wochen hat der internationale Währungsfonds in Wien aufgezeigt, dass Frauen in allen Wirtschaftssektoren und allen Berufsfeldern in allen OECD-Ländern verstärkt Routinearbeiten ausführen, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, der Automatisierung oder Wegrationalisierung zum Opfer zu fallen. Das heißt, auf der einen Seite will man verstärkt Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren, auf der anderen Seite sind es verstärkt Frauenjobs, die am ehesten von einer Automatisierung negativ betroffen sind. Das muss man also bei Digitalisierungsoffensiven oder bei Automatisierungen mitberücksichtigen, sodass die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen am Arbeitsmarkt nicht noch verstärkt wird.“