30.Juni, 2020

Alten- und Pflegeheime in der Corona-Krise

Zwischenbericht, Erkenntnisse und Forderungen an die Politik

Laut dem Lebenswelt Heim-Bundesverband, haben Alten- und Pflegeheime die Corona Krise bisher gut bewältigt. Laut AGES waren lediglich ein Drittel der an COVID-19 Verstorbenen BewohnerInnen von Pflegeeinrichtungen. Im Vergleich sollen es international bis zu 80% gewesen sein. Doch vor allem die regionalen Gesundheitsbehörden schienen am Höhepunkt der Covid-19 Krise vielfach überfordert und kamen einer koordinierenden Aufgabe in vielen Regionen nicht nach. Die Pflegeeinrichtungen waren deshalb in vielerlei Hinsicht auf sich alleine gestellt – von der aktuellen Risikoeinschätzung, über die Beschaffung von Schutzausrüstung und Testungen, bis hin zur Abklärung mit dem akutstationären Bereich hinsichtlich erforderlicher Aufnahmen von PatientInnen oder BewohnerInnen aus dem Klinikbereich. Markus Mattersberger, MMSc MBA, Präsident Lebenswelt Heim Bundesverband, schildert wie Alten- und Pflegeheime die Corona-Krise bis jetzt gemeistert haben:


Markus Mattersberger
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„Hinsichtlich der Aussage vom Bundesminister Anschober: „Wir haben es geschafft die BewohnerInnen in den Pflegeeinrichtungen durchaus gut zu schützen“, haben wir durchaus eine andere Wahrnehmung. Nämlich, dass es vorwiegend dem Engagement, der Kreativität und der Praxiskompetenz der Führungskräfte zu verdanken ist, und auch einer Portion Glück, dass wir nicht ähnliche Situationen erlebt haben, wie in anderen europäischen Ländern. Gerade in den ersten Wochen konnte von einem koordinierten Vorgehen der Behörden und gut abgestimmten Settings, nicht gesprochen werden. Insbesondere die regionalen Gesundheitsbehörden schienen vielfach überfordert und kamen einer koordinierenden Aufgabe in vielen Regionen nicht nach. Pflegeeinrichtungen waren, über viele Wochen hinweg, auf sich allein gestellt. Die Pflegeverantwortlichen und die Heimleiter mussten selbst eine Risikoeinschätzung treffen und selbstverantwortlich die Beschaffung der Schutzausrüstung organisieren. Diese Verantwortung reichte von Testungen bis hin zur Abklärung, Übernahme und Rücktransfer von BewohnerInnen aus dem Klinikbereich. Teilweise wurde von Behörden auch enormer Druck aufgebaut, um die Menschen wieder in die Pflegeeinrichtungen zu bekommen, und das auch ohne Testungen. Die vorherrschende fehlende Rechtssicherheit für die Verantwortlichen der Einrichtungen, sowie offene Fragestellungen bezüglich der Kostenübernahme, haben ein effizientes und effektives Vorgehen erschwert.“

Der Verlauf der COVID-19-Krise in Alten- und Pflegeheimen Österreichs hat wesentliche Schwachstellen im System aufgezeigt und hervorgehoben. Zum Beispiel haben Pflegeeinrichtungen versucht Testungen für Mitarbeiter- und BewohnerInnen anzufordern, wurden aber mit dem Argument, dass kein direkter Kontakt mit positiv Erkrankten stattgefunden hat, abgewiesen. Tage später werden in einer Einrichtung von 22 MitarbeiterInnen 12 positiv getestet. Mehrere Pflegeeinrichtungen mussten vorübergehend geschlossen werden und es drohten weitere Schließungen auf Grund von Absonderungen von Personal. Ersatzpersonal konnte nicht bereitgestellt werden. Weiters, ergab eine Datenerhebung in über 100 Pflegeeinrichtungen, durchgeführt von der MedUni Wien, MedUni Graz und der Privatuniversität UMIT in Tirol, dass Anfang April lediglich ca. 40 % der Pflegeeinrichtungen über genügend Schutzausrüstung verfügt haben. Was diese Schwachstellen für die Betroffenen bedeutet, erklärt Markus Mattersberger, MMSc MBA, Präsident Lebenswelt Heim Bundesverband:


Markus Mattersberger
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„Gerade in dieser akuten Phase der Krise haben wir einige Schwachstellen des Systems, über die wir auch schon vorher Bescheid wussten, vermehrt gesehen: Der Stellenwert der Pflegeeinrichtungen ist hier als erstes zu nennen. Alten- und Pflegeheime wurden sehr früh sowohl von politischer Seite, als auch von Experten als besonders zu schützende Einrichtungen dargestellt. Eine Überlastung des Pflegesystems, wie wir es in anderen europäischen Ländern gesehen haben, führt sehr rasch zur Überlastung des kompletten Gesundheitssystems. Die Pflegeeinrichtungen in Österreich betreuen pro Jahr knapp über 90 000 BewohnerInnen. Wenn nur ein geringer Anteil der Pflegeeinrichtungen es hier nicht schafft die Krise zu bewältigen, kann das zu einer Überlastung des Gesundheits- und Klinikbereiches führen. Entgegen dem öffentlichen Bekenntnis fehlt der tatsächlichen Umsetzung das entsprechende Bewusstsein für die tatsächliche Gefahrenlage. Ein Thema das wir seit Jahren aufzeigen ist die quantitative, sowie qualitative Umsetzung. Bereits vor Corona haben wir uns darüber unterhalten und eingefordert, dass wir bessere Personalstrukturen brauchen, um dem steigenden Bedarf und den Erfordernissen gegenüber unseren älteren Menschen, gerecht zu werden. Aber auch, und das sieht man gerade in dieser Situation, eine Fragestellung wie Hygiene-Fachkräfte eingesetzt werden, hat an Bedeutung gewonnen. Das Ministerium ist eigentlich davon ausgegangen, dass Pflegeeinrichtungen über Pflege-Fachkräfte verfügen. Nein das tun sie nicht! Die Strukturen geben das nicht her. Wir verfügen großteils nur über Hygiene-Beauftragte. All diese Themen müssen sich in den Tarifgestaltungen darlegen und müssen von den Ländern vorgesehen werden. Außerdem, die fehlende rechtliche Vorgabe für die Pflegeeinrichtungen: Die Einrichtungen agierten vorwiegend auf Empfehlungen. Diese mögen durchaus einen verbindlichen Charakter haben, allerdings wurden wir in der konkreten Situation auch sehr häufig von Angehörigen konfrontiert, dass das nur Empfehlungen sind, und auch die Möglichkeit bestünde anders zu handeln. Nur sind wir dann rechtlich schon wieder in einer extrem schwierigen Situation.“

Aus den Erfahrungen der letzten Wochen ergaben sich für den Bundesverband Lebenswelt Heim einige Erkenntnisse. Unter anderem, dass Vertreterinnen der Langzeitpflege künftig von der Bundes- bis auf die Gemeindeebene in Krisenstäben vertreten sein sollen. Die Erkenntnisse spiegeln sich auch in den Forderungen wieder, die der Bundesverband Lebenswelt Heim an die Bundesregierung stellt, und sich in der Pflegereform wieder finden sollen. Josef Berghofer, MBA, Vizepräsident Lebenswelt Heim Bundesverband, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Alten- und Pflegeheime Burgenlands, erklärt welche das sind:

„Wir fordern eine quantitative ausreichende Ausstattung, wie auch eine qualitativ ausreichende Ausstattung. Wir fordern Ausbildungsmodelle, die niederschwellige Zugänge ermöglichen. In allen Lebensphasen der Menschen. Im Langzeitbereich haben wir sehr lange gut von Menschen gelebt, die im zweiten Bildungsweg einen Pflegeweg beschritten haben. Vorwiegend Frauen, die nach Kindererziehungs-Zeit in einen Pflegeberuf eingestiegen sind. Diese sind mittlerweile gute MitarbeiterInnen und wertvolle Bestandteile unserer Teams. Wir fordern auch eine Multiprofessionalität in unseren Pflegeteams. Wir brauchen verschiedene Professionen, die eng in Pflegesettings zusammen arbeiten. Wir haben, aufgrund des Personalnotstandes, sehr pflegelastige Teams. Auch wenn ich den Begriff Notstand nicht gerne in den Mund nehme, aber in einigen Regionen Österreichs kann man das leider auch so bezeichnen. Wir fordern von der Politik eine Untergrenze an quantitativer Ausstattung in den einzelnen Alten- und Pflegeheimen. Fakt ist, dass das in verschiedenen Bundesländern in Österreichs sehr unterschiedlich ist. Ich komme aus dem Burgenland, wo wir Schlusslicht dieser Personalausstattungen sind. Wenn ich das mit Wien vergleiche, und hier ein Altenpflegeheim mit 120 BewohnerInnen betrachte, würde der Wiener Schlüssel, 85 MitarbeiterInnen Vollzeitäquivalent vorschreiben. Im Burgenland wären es 35. Um nur eine Zahl zu nennen. Ich glaube da gehört etwas getan. Da muss nach unten eine Absicherung stattfinden. Das fordern wir ganz massiv von der Pflegereform.“

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Markus Mattersberger

Wie haben es die Pflegeheime durch die Krise geschafft?

Markus Mattersberger

Was bedeuten die Schwachstellen für die Betroffenen?

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Das Krisenmanagement der Behörden ist aus Sicht der Pflegeeinrichtungen verbesserungswürdig. Der Lebenswelt Heim Bundesverband präsentierte Zwischenberichte, Erkenntnisse und Forderungen. DIEGANZE.INFO gibts hier: https://tinyurl.com/y8aobktq

Gesprächspartner

Markus Mattersberger, Präsident Lebenswelt Heim Bundesverband

Josef Berghofer, Vizepräsident Lebenswelt Heim Bundesverband, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Alten- und Pflegeheime Burgenlands

Jakob Kabas, Obmann des Landesverbandes Altenpflege Steiermark

WAS INTERESSIERT SIE?

Die Fragerunde ist beendet.

Gabriela Hösl

Die Herausforderung in Pflegeheimen ist sehr groß.Ich wünsche mir immer wiederkehrende Übungen - wie Feuerwehr - damit ALLE MITARBEITER firm für die Zukunft sind.Und dass ausreichend Verbrauchsressourcen aus der Region parat sind für Sicherheit gegen Panik für Zufriedenheit 🤗

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Nick

Könnten Sie bitte noch einmal die Top 3 Erkenntnisse und zusammenfassen?

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Quelle

Gabriele Tupy 
imzusammenspiel kommunikationsmanagement 
Mobil: 0699 / 100 277 40 
 gabriele.tupy@imzusammenspiel.com 

Lebenswelt Heim Bundesverband 
Markus Mattersberger, MMSc MBA 
Präsident 
+ 43 (0)1 585 15 90 
markus.mattersberger@lebensweltheim.at

 

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