Armutsbetroffene Kinder leiden besonders unter Corona
50% geben Lebensqualität ein Nicht-Genügend
Die Volkshilfe hat im Juni eine Umfrage unter armutsbetroffenen Familien in ganz Österreich durchgeführt, um herauszufinden, wie es armutsbetroffenen Familien und ihren Kindern in Corona-Zeiten geht. Der Fragenkatalog zu Corona wurde insgesamt 100 Personen gestellt, die Interviews fanden von 1.6. bis 30.6.2020 telefonisch statt. Befragt wurden ausschließlich armutsbetroffene Familien, also jene mit einem Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Diese liegt für einen Haushalt mit einem Erwachsenen und einem Kind bei 1.636 Euro. Für jedes weitere Kind sind 377 Euro und für jeden weiteren Erwachsenen 629 Euro hinzuzurechnen. Die Ergebnisse zeigen: Die Familien leiden unter den finanziellen und emotionalen Mehrbelastungen durch die Krise. 50 Prozent der Befragten haben ihre aktuelle Lebensqualität mit der negativen Schulnote 4 bis 5 beurteilt. Welche zentralen Ergebnisse bei der Umfrage herausgekommen sind erklärt Erich Fenninger, Direktor Volkshilfe Österreich:
„Wir müssen feststellen, dass armutsbetroffene Kinder und deren Familie immer extrem unter Belastung leiden. Belastet sind sie in finanzieller Hinsicht, in emotionaler Hinsicht, in psychischer Hinsicht immer. Die Corona-Krise zeigt in unseren Gesprächen, dass die Eltern und die Kinder noch mehr belastet worden sind, in dieser Krise, und sich die Grundbelastung noch einmal erhöht hat. Die Lebensqualität hat massiv gelitten und 50 Prozent der Betroffenen sagen, dass sie die Lebensqualität in dieser Krise als Nicht Genügend bewerten.“Rund zwei Drittel aller Betroffenen, die befragt wurden, beschrieb die Situation, in der die Kinder nicht mehr in den Kindergarten oder die Schule gehen konnten, als sehr bis ziemlich belastend. Viele berichten von finanziellen Problemen, durch Mehrkosten des Homeschooling, einige von Schulden wegen des notwendigen Ankaufs von Laptops für den Unterricht von zu Hause. 58 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Wissen fehlt, um ihren Kindern bei den Aufgaben helfen zu können. 38 Prozent gaben auch den Mangel an Zeit als häufiges Problem an. Allerdings gaben zwei Drittel der befragten Elternteile an, dass die Unterstützung durch die Schule ausreichend war. Wie sich das Homeschooling konkret auf die armutsbetroffenen Eltern und Kinder ausgewirkt hat schildert Judith Ranftler, Projektleitung Kinderarmut Abschaffen:
„Ein großes Thema war auch das Homeschooling. Eltern waren sehr gefordert, wir haben nachgefragt wie die Kinder das Homeschooling erlebt haben. Es hat eine Frage gegeben, wo wir wissen wollten, ob es auch eine gewisse Erleichterung war, nicht in die Schule gehen zu müssen. 23 Prozent der Kinder waren erleichtert, nicht in die Schule gehen zu müssen und 20 Prozent waren fröhlicher. Das hat uns schon überrascht. Wir haben auch nachgefragt was die Gründe dafür waren, dass dieses Ergebnis zu stande kommt und haben gesehen, dass Kinder aus armutsbetroffenen Familien ohnehin in der Schule schon belasteter sind, weil sie sehr gefordert sind und weil sie auch von sozialen Ausschluss betroffen sind. Sie waren auch deshalb fröhlicher, weil so problematische Situationen wie Mobbing weggefallen sind."Mehr als drei Viertel aller Befragten, also 79 Prozent, geben an sich jetzt noch mehr Sorgen um die Zukunft zu machen. Ein zentrales Ziel der Volkshilfe ist es, die Kinderarmut in Österreich abzuschaffen. Mit dem von Erich Fenninger entwickeltem Modell der Kindergrundsicherung soll das gelingen. Das wäre eine neue Leistung anstelle der vielen Transferleistungen, wo alle Kinder mit 200 Euro pro Monat bis zur Volljährigkeit wertgeschätzt und unterstützt werden. Die armutsbetroffenen Kinder sollen zusätzlich 425 Euro bis zu einem Jahres-Haushaltseinkommen von 20.000 Euro bekommen. Bis zu einem Jahreseinkommen von 35 000 Euro in einer abflachenden Kurve. Laut Berechnungen würden die 16 Prozent der Armutsquote gegen Null gehen. Damit wäre Österreich das erste Land, das die Kinderarmut abgeschafft hat. Welche Forderungen noch von der Politik umgesetzt werden sollten, erläutert Erich Fenninger, Direktor Volkshilfe Österreich:
„Wir bitten nicht nur, sondern wir fordern - im Interesse der betroffenen Kinder als Megaphone der armutsbetroffenen Kinder in diesem Land: Zunächst einmal, dass Österreich antritt, um eines der kinder- und familienfreundlcihsten Länder zu werden. Und das in einer Form, die auch messbar ist. Und für die armutsbetroffenen Kinder zunächst, unmittelbar nach den Ferienmonaten, zu schauen, wo sind die Problemlagen der Kinder, wo sind die Bildungsdefizite und gleichzeitig massiv diese benachteiligten Kinder zu unterstützen. Das Zweite ist, dass die Bildungsungerechtigkeit, die Vererbung des Mangels an Bildung, erkannt wird und dagegen gearbeitet wird. Das setzt voraus, dass sich das Bildungssystem und auch die Ausbildung ändert, in dem man armutsensibele Unterrichtsformen einschlägt. Der zentrale Punkt sollte in Österreich operationalisiert werden - dass was die UN beschlossen hat - bis zum Jahr 2030 wollen wir jedem Kind in Österreich garantieren, dass es zu einer mittleren Reife kommt. Und es nicht nur am Kind liegt dort hin zu kommen. Sondern, dass wir uns als Gesellschaft, als Bildungssystem verantwortlich fühlen das auszugleichen, was die Eltern nicht können - auf Grund von finanziellen Problemen oder mangelnden Kompetenzen. Und dass wir die armutsbetroffenen Kinder in Österreich befreien, durch die Einführung einer Kindergrundsicherung."