VOLKSHILFE SYMPOSIUM KINDERARMUT
Wie wir die Zukunft unserer Kinder gefährden
Rund 300.000 Kinder und Jugendliche sind in Österreich armutsgefährdet. Das entspricht fast jedem fünften Kind oder 19 Prozent aller in Österreich lebenden Kinder und Jugendlichen. Armut ist in Österreich somit unter Kindern und Jugendlichen stärker verbreitet als in anderen sozialen Gruppen. Die Corona-Krise hat diese Ungleichheiten erstmals für eine breite Öffentlichkeit sichtbar gemacht und diese auch weiter verstärkt. Vor diesem Hintergrund fand am Montag, dem 12. Oktober, das Symposium „Kinderarmut & Bildung“ der Volkshilfe in Wien statt. Dabei diskutierten ExpertInnen und Experten über das Thema und mögliche Lösungsansätze Kinderarmut in Österreich endgültig abzuschaffen. Mag.a Judith Ranftler von der Volkshilfe Österreich und Leiterin des Projekts „Kinderarmut abschaffen“, sagt über die Rolle von Armut im Alltag betroffener Kinder:
„Ein Ergebnis ist, dass Kinder sich oft nicht mit ihrem Leben oder mit ihren Entwicklungen beschäftigen können, sondern mit dem Überleben derart beschäftigt sind, dass alles Andere in den Hintergrund rückt. Wir haben mit Kindern und Jugendlichen gesprochen und ein wiederkehrendes Thema, ist das Thema Essen und Lebensmittel. Kinder berichten, dass sie am Ende des Monats zwar nicht Hungern müssen, aber die Auswahl an Lebensmitteln einfach extrem reduziert ist und sie von Brot und Wurst leben. Armutsbetroffene Kinder, ist unsere Schlussfolgerung, sind demnach nicht nur von relativer Armut betroffen, wie wir das oft kennen und hören, sondern sie sind auch von absoluter Armut betroffen, wenn die Ernährung zumindest in einem halbwegs gesunden Ausmaß nicht mehr ausreichend gesichert ist und auch wenn Kinder keine witterungsgerechte Kleidung zur Verfügung haben.“Ein Bereich auf den sich die Kinderarmut besonders auswirkt ist die Schule. So ist es wissenschaftlich gut belegt, dass der Bildungsweg und Schulerfolg in Österreich maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängt. So machen Kinder aus Arbeiterfamilien unabhängig ihrer Interessen und Fähigkeiten deutliche öfter eine Lehre, während Kinder von AkademikerInnen Großteils ein Gymnasium besuchen und in weiterer Folge mehrheitlich studieren. Bildunsgsoziologin Dr.in Barbara Rothmüller sagt diesbezüglich:
Ein Gruppe, die von Kinderarmut und damit einhergehenden Bildungsungleichheiten besonders betroffen ist, sind sogenannte Care Leaver. Als Care Leaver bezeichnet man junge Menschen die zumindest für einen Teil ihres Lebens in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe aufgewachsen sind. Care Leaver müssen per Gesetz mit dem 18. Geburtstag aus der Betreuung in die Selbständigkeit entlassen werden. Im Vergleich dazu liegt das generelle Durchschnittsalter beim Auszug aus dem Elternhaus in Österreich bei 25 Jahren. Der verhältnismäßig frühe Übergang von der intensiven Betreuung in die Selbständigkeit von Care Leavern stellt somit eine wesentliche Benachteiligung gegenüber Menschen die in einer Familie aufwachsen dar, so die Volkshilfe. So wurde 2018 in einer österreichweiten Studie erstmals der Erwerb von formaler Bildung seitens Care Leaver genauer beleuchtet. Anita Nöhammer, MSC, von der Volkshilfe Wien sagt über die Ergebnisse dieser Studie:
„Bedeutendes Ergebnis dieser Studie ist die Tatsache, dass Care Leaver – junge Menschen, die unsere Einrichtungen verlassen haben – im Vergleich zu gleichaltrigen jungen Menschen aus herkömmlichen Familiensystemen mehrheitlich mittlere Berufs- und Lehrabschlüsse haben und sie haben selten höhere. Teilweise ist das auf die Bildungsbenachteiligung durch das bildungsarme Herkunftsmilieu zurückzuführen. Sichtbar wird, dass Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe das wenig kompensieren können, weil ein recht großer Druck besteht, dass diese jungen Menschen möglichst früh erwerbstätig sind und damit möglichst früh ihre Ausbildung abgeschlossen haben.“
Die finanzielle Herkunft von Kindern prägt demnach die Bildungschancen von Kindern und in weiterer Folge auch ihre gesundheitliche und materielle Benachteiligung nachhaltig. Letztlich bestehe in Österreich somit ein Kreislauf welcher das Fortbestehen von Armut fördert. Geringes Einkommen und geringe Bildung der Eltern führen dazu, dass auch die Kinder sehr häufig keine über die Schulpflicht hinausgehende Bildung abschließen. Dadurch erreichen auch diese Kinder in Österreich später wiederum ein niedrigeres Einkommen und sind erneut materiell erheblich benachteiligt. Die Journalistin und ausgebildete Lehrerin Melisa Erkurt spricht vor diesem Hintergrund von der Vererbbarkeit von Armut in Österreich, die durch das Schulsystem gefördert werde. Sie sagt diesbezüglich:
„Sozialer Ausgleich stand nie im Mittelpunkt bildungspolitischer Bemühungen. Bildung wird in Österreich vererbt und Bildung muss man sich in Österreich leisten können. Man muss sich einen eigenen Schreibtisch, einen eigenen PC und Nachhilfe leisten können. Man muss es sich leisten können das Wagnis einzugehen, sein Kind in eine höhere Schule zu schicken, als man selbst besucht hat. Wer zum unteren Drittel der Gesellschaft gehört bleibt dort. Das Schulsystem schafft es nicht soziale Ungleichheiten durchs Elternhaus auszugleichen. In kaum einem anderen Land ist Bildung so abhängig vom Elternhaus und die Trennung sozialer Milieus wird durch das Bildungssystem auch noch zusätzlich befördert. Wir haben die guten Schulen in den guten Bezirken für die guten Kinder. Wir haben die restlichen Schulen in den restlichen Bezirken für die Restkinder. Soziale Trennung statt sozialer Aufstieg: Das ist das Armutszeugnis der österreichischen Bildungspolitik.“
Im aktuellen Regierungsprogramm ist vorgesehen den Anteil der armutsbetroffen Menschen in Österreich zu halbieren. In Bezug auf die Kinderarmut plant die Bundesregierung daher den flächendeckende Ausbau des Projekts der frühen Hilfe, frühkindlicher Bildungseinrichtungen sowie von Jugend-Coaching Programmen. Nicht zuletzt sieht das Regierungsprogramm die Schaffung eines nationalen Aktionsplan zur Armutsvermeidung von Kindern und Jugendlichen vor, im Rahmen dessen weitere Maßnahmen gemeinsam mit Organisationen und ExpertInnen erarbeitet und umgesetzt werden sollen. Die Forderung der Volkshilfe zur Bekämpfung der Kinderarmut in Österreich ist eine klare: Sie fordert die Abschaffung aller derzeitigen Familientransferleistungen zu Gunsten einer Kindergrundsicherung. Mag. Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe, sagt darüber wie eine derartige Kindergrundsicherung ausgestaltet sein soll:
„Wir führen einen Universalbetrag für jedes Kind das in Österreich lebt von 200 Euro ein und begründen das aus den Kinderrechten. Jedes Kind, das hier in Österreich lebt ist uns viel wert, nämlich 200 Euro pro Monat. Wir stützen letztendlich dadurch, dass wir über eine Kindergrundsicherung reden, die Kinderrechte. Wir sehen aber, dass die armutsbetroffenen Kinder noch wesentlich mehr brauchen, damit sie sich die Teilhabe finanzieren können. Deshalb muss es zu einer einkommensbezogenen Tangente kommen, die dann maximal 425 Euro additiv ausmachen kann und soll. Für jene Kinder, die in Haushalten leben die nicht mehr als 20.000 Euro Jahreseinkommen haben, kommt das dann additiv dazu.“